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ER1 FRAUNBAUM

Der Geruch der ersten Geige

Multitalent Herman van Veen kommt nach Linz

20.mai 1989

Er ist Liedermacher, Schauspieler und Tänzer, Autor, Komponist, Regisseur und Clown. Auf ost-und westdeutschen Bühnen ist der studierte Geiger und Sänger und ausgebildete Musikpädagoge Herman van Veen genauso zu Hause wie auf französischen oder flandrischen oder am Broadway. Am 24. und 25. Mai ist er in Linz zu sehen. Er hat 40 niederländische Langspielplatten aufgenommen, 30 deutsche, französische und englische, Ballett-, Opern- und Filmmusik geschrieben, Spielfilme inszeniert; Theaterstücke und Bücher geschrieben.


Und er wälzt schon wieder neue Pläne. Seine derzeitige Tournee führt ihn bis Wien — und dann macht er erst einmal Ferien, bevor im Herbst in seiner holländischen Heimat die Dreharbeiten für einen neuen Spielfilm beginnen. „Zomp“ erzählt die Geschichte eines Mädchens, das gezwungen ist, in Finsternis zu leben, tief in sich jedoch fühlt, daß es mehr gibt. Und sie entdeckt tatsächlich eine andere Wirklichkeit.

Für eine andere, bessere Wirklichkeit engagiert sich der 44jährige Herman van Veen in seiner Musik wie in seinem Leben. Seine Stiftung „Colombine“ hat sich zum Beispiel für ein TVinkwasserpro-jekt in Kenia oder die Einrichtung des Lehrstuhls für Frieden an der Universität seiner Geburtsstadt Utrecht eingesetzt. Eine andere Van-Veen-Gründung, die Organisation „Harlekijn", fördert junge Talente. Daneben ist Herman ehrenamtlicher Botschafter für UNICEF.

Zu Kindern hat der quirlige Holländer mit der sanften Stimme und der ausdrucksstarken Körpersprache, der so gern als Clown auftritt, ein besonderes Nahverhältnis. Er hat nicht nur selber vier, er hat auch Fernsehserien’ und Geschichten für sein jüngstes Publikum geschrieben — seine Ente Alfred Jodocus Kwak hat es zu internationaler Berühmtheit gebracht. .Was mich mit Kindern verbindet, ist die Erinnerung.
Ich bin ja jahrelang selber eins gewesen! Das war fantastisch. Ein Stein im Garten war das ganze All... Wenn man größer wird, ist das All nicht mehr groß genug." Seinen Sprößlin-gen verdankt er einige Erkenntnisse. Und er freut sich jetzt schon auf die Enkelkinder, die er einmal haben wird. Sein bedeutet, philosophiert Herman, Erwachsensein und Kindsein zu verbinden, Unbefangenheit, mit Wissen. Erwachsene könnten von Kindern lernen, daß sie selber welche waren.

Herman van Veen ist sich dessen bewußt, daß all das, was er bisher erlebt hat, ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist. .Ich bin die Summe von meinem Vater, meiner Mutter, Kartoffeln und Calvinismusr resümiert er augenzwinkernd. .Ich bin Vergangenheit. Was hier sitzt, ist das Resultat von 44 Jahren Sein.“

Derzeit komme er gerade aus der Midlife-crisis heraus, erzählt Herman offen. .Rund um Vierzig war ich ziemlich verwirrt. Ich hatte das Gefühl, die Zukunft liege bereits hinter mir.“ Das ist heute überwunden.

Einen Tag, den er noch einmal erleben möchte, gibt es nicht. Denn obwohl die Vergangenheit einen Menschen prägt, ist sie vorbei. Schöne Tage, an die er gerne zurückdenkt, gab es allerdings viele — schöne Momente, besser gesagt, .zigtausend Kleinigkeiten, die im Gehirn rumfliegen“

Zum Beispiel .das Licht in der Bäckerei, als meine Tochter geboren wurde. Da bin ich hingerannt, als es gelungen war, und habe eine große Torte gekauft." Oder der Geruch seiner ersten Geige, „die hat so weis von lecker gerochen!“ Oder „das Lachen von meinem Vater — das kann ich nicht oft genug hören! Das sind Glücksmomente.“.
Oder die Ferien bei der Tante, die ihn immer ins Bett gebracht hat. Zwölf war er damals und „wahnsinnig verliebt in die Tante. Sie hatte einen schönen Busen, und sie war immer so fröhlich und machte jede Arbeit mit einem Lächeln.“ Allerdings war besagte Tante runde 30 Jahre älter und ahnte nichts von ihrem Glück. „So habe ich mich rasch in ihre Tochter verliebt, die war in meinem Alter, das war normaler.“

Leider wollte auch die nichts von ihm wissen, weil sie ihr Herz gerade an einen 17jährigen verloren hatte — was Herman gar nicht begreifen konnte:
Was findet die bloß an diesem uralten Kerl?



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